● (36) Von Schwertschwestern, Waffenbrüdern und Städtepartnern unter der Mitternachtssonne
oder: Wie ich zum begeisterten Finnlandfan wurde

Bericht über eine Finnlandreise von Marion Strencioch

25.10.2018

Der Deutsch-Finnische Club Puchheim hatte mit seinem Schreibwettbewerb „Gummistiefelweg“ alles ins Rollen gebracht: Ich hatte dafür eine Geschichte über die Finnin Tarja geschrieben und wollte diese nun weiter spinnen. Wie erlebt meine Hauptfigur ihre Heimatstadt Salo? Und wie lernt sie im Zweiten Weltkrieg in Lappland den deutschen Soldaten kennen? Schnell war klar, dass ich dafür vor Ort recherchieren müsste, zumal ich noch nie zuvor in Finnland war. Im Juni 2018 brach ich also auf.

Am Flughafen Helsinki nahm ich den Zug in die Stadt. Doch als sich die Zugtüren am Hauptbahnhof Helsinki öffneten, erlebte ich eine Überraschung: Ich stand direkt vor – dem Münchner Bierhaus! Was bitte?! Waren der Lokführer oder ich etwa falsch abgebogen? Nein, Tatsache, ich war in Finnland! Und gleichzeitig auch irgendwie wieder zurück daheim. Gut, dass das eigentliche erste Ziel meiner Reise gar nicht Helsinki hieß, sondern Tuusula!

 

 

 

 

    

      Bierhaus München in Helsinki


Von Schwertschwestern in Tuusula

In Tuusula – etwa 30 Kilometer nördlich von Helsinki – ist das Lotta Svärd-Museum beheimatet. Als angekündigte Besucherin bekam ich dort von einer überaus freundlichen Mitarbeiterin eine persönliche Führung durch das idyllisch gelegene Gebäude. Doch damit nicht genug: Ich erhielt außerdem Einblick ins Archiv und konnte ausgiebig Fragen stellen. Mit einer solch intensiven und individuellen Betreuung hätte ich niemals gerechnet! Meine Begeisterung für Finnland erreichte einen ersten Höhepunkt.

 

 

 

 

 

    Lotta-Museum in Tuusula          https://www.lottamuseo.fi/

 



Doch warum war dieses Museum für mich überhaupt so interessant? Meine Tarja gehört der sehr bekannten Organisation Lotta Svärd an („Svärd“ ist Schwedisch und bedeutet „Schwert“). Von 1921 bis 1944 schlossen sich darin fast eine Viertelmillion finnischer Frauen im ganzen Land zusammen. Das Museum stellt die Geschichte und die Tätigkeiten dieser Freiwilligen-Gruppierung vor, die vor allem im finnischen Winterkrieg (1939-1940) und im Fortsetzungskrieg (1941-1944) aktiv war. Die Lottas in ihren feldgrauen Uniformen waren unter anderem in Lazaretten, Kantinen, Büros und der Luftüberwachung im Einsatz.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

         Uniform der Lotta Svärd



Viele Lottas hatten im Krieg eine Art von Poesiealbum, in dem Soldaten als Dank für die Dienste der Lottas Widmungen hinterließen. Auch Einträge deutscher Soldaten findet

man darin, denn Deutsche und Finnen waren im Fortsetzungskrieg Waffenbrüder im Kampf gegen die Sowjetunion und deshalb waren zahlreiche Lottas für die Deutsche Wehrmacht tätig (so auch Tarja). Die Bandbreite d

ieser historischen Zeugnisse war beeindruckend: Sie reichten von romantischen Notizen über kleine Kunstwerke bis hin zu propagandistisch-patriotischen Parolen. Dieses Spektrum

gibt wohl auch ein Abbild von Stimmungen in der deutschen Truppe wieder.

 

 

 

 

 

 

 

                                                                                                                                          

Widmungen in Alben von Lottas (Archiv des Lottamuseo Tuusula)

Die Waffenbrüder von Lappland

Mein nächstes Ziel hieß Rovaniemi, die Hauptstadt des finnischen Teils von Lappland. Über die Geschichte der Stadt am Polarkreis und der Region Lappland erfuhr ich viel im Arktikum, einem sowohl thematisch als auch architektonisch bemerkenswerten natur- und volkskundlichen Museum. Deutsche Soldaten und finnische Zivilbevölkerung lebten gerade in Rovaniemi (wo etwa 6.000 deutsche Soldaten über drei Jahre lang stationiert waren) sehr eng zusammen und man war sich wohlgesonnen, weil man gegenseitig voneinander profitierte. Dieses harmonische Zusammenleben endete erst, als Finnland im September 1944 mit Russland einen Separatfrieden schloss. Eine Auflage dieses Friedensabkommens war, die noch in Finnland befindlichen deutschen Soldaten (in Nordfinnland waren zeitweise über 200.000 deutsche Soldaten im Einsatz) aus Lappland zu vertreiben. Die Waffenbrüderschaft war damit beendet und der Lapplandkrieg begann. Auf ihrem Rückzug richteten die deutschen Truppen verheerende Verwüstungen an. Rovaniemi etwa wurde – nach der Evakuierung der Zivilbevölkerung – zu 90% zerstört.

 

 

 

 

 

 

 

 

                                 Arktikum Rovaniemi

 


Doch genau wie in Tuusula war ich bei meiner Recherche nicht auf mich allein gestellt: Der Militärhistoriker Eero Pajula nahm sich sehr viel Zeit, um mir die Geschehnisse im Fortsetzungs- und Lapplandkrieg zu erklären und mir historische Orte zu zeigen. Als Verwalter des deutschen Soldatenfriedhofs Norvajärvi brachte er mich auch zu diesem mahnenden Mausoleum. Dort sind über 2.500 gefallene deutsche Soldaten des Fortsetzungs- und Lapplandkrieges inmitten einer idyllischen finnischen Landschaft am Ufer eines Sees bestattet.

 

 

 

 

 

 

 

 


                                       

                                                                       

                                   Deutscher Soldatenfriedhof Norvajärvi

                                   https://www.volksbund.de/kriegsgraeberstaette/rovaniemi-norvajaervi.html

 

 

 

 

 

 

Um noch mehr über das Leben der deutschen Soldaten in Lappland zu erfahren, schmökerte ich in der Stadtbibliothek von Rovaniemi in der offiziellen Zeitung der deutschen Soldaten in den Jahren 1941-1944, dem Lappland-Kurier. Eine sehr spannende historische Lektüre! Die überaus engagierte Bibliothekarin Mari Ekman von der Lappland-Abteilung der Stadtbibliothek half mir außerdem, viele weitere wertvolle Quellen zum Zusammenleben von deutschen Soldaten und finnischen Zivilisten im Lappland des Zweiten Weltkriegs zu finden.
Wenn völlige Unbekannte mir so bereitwillig und einsatzfreudig halfen – wo waren dann eigentlich diese sprichwörtlichen wortkargen und zurückgezogenen Finnen? (Leider kann ich diese Frage bis heute nicht beantworten, denn ich habe solche Finnen bisher nicht kennengelernt!)
Ein Finnland-Klischee jedoch fand ich bestätigt: Die Mitternachtssonne bietet ein herrliches Schauspiel!

 

 

 

 

 

 

           Mitternachtssonne am Ounasjoki (Rovaniemi)


Bei Städtepartnern in Salo

Meine nächste Station lag wieder im Süden Finnlands: die Puchheimer Partnerstadt Salo, Tarjas Heimatstadt. Dort wurde ich – wieder einmal zu meinem größten Erstaunen – wie ein wahrhaftiger VIP behandelt: Bei meiner Ankunft am Bahnhof wurde ich von einer Delegation des Hansa-Vereins Salo (dem Partnerverein des Deutsch-Finnischen Clubs Puchheim) empfangen und zu meiner Unterkunft gefahren; mir wurde ein Fahrrad zur Verfügung gestellt; zu meinem Termin im Stadtarchiv begleitete mich Eeva Hunzinger-Lyhde vom Hansa-Verein als Übersetzerin; Esko Hariniemi vom Hansa-Verein hatte einen Ausflug in den malerischen Stadtteil Angelniemi eingeplant; die International Officer der Stadt Salo, Terhiki Lehtonen, lud mich zum Mittagessen ein; die Vorsitzende des Hansa-Vereins, Petra Haro, empfing mich zum Frühstück bei sich zuhause und zeigte mir ihre Schiffswerft; der Hansa-Verein hatte ein Gespräch mit dem Stadthistoriker Lauri Hollmén organisiert und dieser machte zusammen mit seiner Frau auch noch eine kleine Stadtführung mit mir. Nicht nur diese Gastfreundschaft und Aufmerksamkeit überwältigten mich, sondern auch die Stadt Salo selbst mit ihrem hübschen Fluss, der von der Ostsee umspülten Halbinsel Vuohensaari, den vielen schönen Holzhäusern, dem großen Kunstmuseum und den weitläufigen Wäldern und Feldern im Stadtgebiet.

 

 

 

                   Unterwegs in Salo

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Ein historisches Detail fand ich besonders interessant: Im Winterkrieg wurde die Stadt oft von russischen Fliegern angegriffen, weil in der südfinnischen Stadt unter anderem Geschirr für Soldaten hergestellt wurde. Da der finnische Staat jedoch keine Mittel für Flugabwehrgeschütze zur Verfügung stellen konnte, sammelten die Bürger der Stadt selbst Geld und kauften sich entsprechendes Gerät. Dies ist bis heute öffentlich in Salo ausgestellt.

Ich lernte außerdem einen Ort kennen, den meine Figur Tarja sicher besucht hätte: Das Sininen Talo („Blaues Haus“), früher Versammlungsort des Lotta Svärd-Verbandes von Salo, existiert noch heute.
Und bei meiner Recherche im Stadtarchiv machte ich eine unerwartete Entdeckung: Ich hatte in Salo eine Unterkunft in der Satamakatu bezogen, da in meiner Kurzgeschichte Tarjas Onkel in der Hafenstraße wohnt. Durch alte Photographien wurde ich nun gewahr, dass ich mich damit in einem historischen Gebäude der Schwimmschule von Salo einquartiert hatte.

 

 

 

 

 

           Das Hinweisschild zur Satamakatu

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                Früher Schwimmschule mit Restaurant und Sauna, heute Unterkunft für Campinggäste

 

 

Daneben sammelte ich ein paar zeitgenössische Eindrücke: Auf dem Abendmarkt Suvisalo konnte ich dem Wettbewerb „Wer schlürft seinen Kaffee am lautesten“ beiwohnen. Herrlich, welch außergewöhnliche Wettbewerbe dem unvergleichlichen finnischen Humor entspringen! Im Kunstmuseum von Salo erlebte ich dagegen ganz ernst gemeinte Kultur: Die Photo-Ausstellung mit Werken des berühmten Amerikaners Herb Ritts gastierte außer in der Puchheimer Partnerstadt nur in Weltstädten wie Rom, Paris und Moskau.

Als es schließlich hieß, Abschied zu nehmen von Salo, wurde ich – zu meiner großen Freude und Dankbarkeit – wieder völlig selbstverständlich von Esko Hariniemi und Eeva Hunzinger-Lyhde zum Bahnhof chauffiert.

Finnische Nationalheiligtümer in Helsinki

Die letzten Tage meines Finnlandaufenthalts verbrachte ich in Helsinki (jedoch nicht im Münchner Bierhaus!). Im Nationalmuseum gab es noch einmal allerlei zu lernen über Finnlands Geschichte und Kultur. In einem der letzten Räume des Museums traute ich meinen Augen kaum: Hingen da doch lauter Kopfhörer, auf denen finnischer Heavy Metal lief! Mitten im Nationalmuseum! Und dazu die Überschrift: „Finland loves Metal!“ (Genau wie ich!) Meine Begeisterung kannte keine Grenzen…und wurde noch gesteigert durch einen Raum, in dem eine komplette Wand geziert wurde von Saunaschöpfkellen. Damit hatte dieses einmalige Land mich zum wiederholten Male vollkommen hin- und mitgerissen.

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                                    Heavy Metal und Sauna im Finnischen Nationalmuseum, Helsinki

Später las ich in der finnischen Nationalbibliothek noch einmal einige Artikel im Lappland-Kurier. Allein schon um das herrliche Innere des Gebäudes zu sehen, hat sich dieser Abstecher gelohnt!

 

 

 

 

 

 

 

 

                                 In der Finnischen Nationalbibliothek, Helsinki

 


Als ich nach zweieinhalb unglaublich ereignis- und erkenntnisreichen Wochen schließlich wieder in Helsinki im Flugzeug Richtung München saß, schoss mir eine Liedzeile der finnischen Band Sunrise Avenue durch den Kopf: „And a part of me will stay here...“ Ein Teil von mir wird hier bleiben. Und ich denke, ab und zu werde ich wieder in Finnland vorbeikommen müssen um zu sehen, wie es ihm geht, diesem Teil von mir!

Vielen Dank an alle meine Kontaktpersonen in Finnland, die mich so wunderbar unterstützt und diese Reise zu einem ganz besonderen und außergewöhnlichen Erlebnis gemacht haben!